Management & Strategien | 09.04.2020

Eine neue Wertschätzung für die Zeit „danach“

Fotostrecke Ulrike Wachsmund Supervisorin Coach Ulrike Wachsmund, Supervisorin und Coach / Foto: Ulrike Wachsmund / Thomas Mohn

Was macht die Corona-Krise mit den Menschen? Wie können Gastronomen mit der erzwungenen Situation umgehen? Worauf kommt es jetzt an? Kann es ein „Weiter so“ geben? Ein Interview mit Ulrike Wachsmund, Supervisorin und Coach, von Peter Erik Hillenbach

Ulrike Wachsmund leitet eine Supervisions-, Coaching- und Beratungspraxis in Emsdetten, ist Mitglied in der DGSv (Deutsche Gesellschaft für Supervision und Coaching e.V.) und Geschäftsführerin der Kultur- und Eventlocations EMS-HALLE und Stroetmanns Fabrik in Emsdetten.

Frau Wachsmund, Sie beraten Unternehmen in Veränderungs- und Krisensituationen. Haben Sie so etwas wie die gegenwärtige Corona-Krise auch nur ansatzweise schon einmal erlebt?

Ulrike Wachsmund: Ich glaube, eine vergleichbare Krise hat noch niemand erlebt. Sie traf uns alle unerwartet, unverschuldet und vor allem in einem bislang unvorstellbaren Ausmaß.

Existenzbedrohende Situationen kenne ich aus meiner Beratungstätigkeit als Coach und Supervisorin. Das sind immer Grenzsituationen, die aber in der Regel eine Vorgeschichte haben. Man kann auswerten und analysieren, um die notwendigen Strategien zu entwickeln und Entscheidungen zu treffen. Nun trifft es jeden, mit oder ohne vorherige Problemlage, aber natürlich je nach Vorgeschichte und individueller Situation mit größerer oder kleinerer Wucht, mit unterschiedlichen Handlungsspielräumen.

Was können Sie gastronomischen Betrieben, die zum Teil vor dem Aus stehen, in der jetzigen Situation überhaupt noch raten?

Gefragt sind Zuversicht, Gemeinschaftssinn, Kreativität, authentisches Auftreten und sehr, sehr viel Kommunikation. Im Blick auf betriebswirtschaftliche Zusammenhänge stehen natürlich Gespräche mit Steuerberatern, Hausbank, Arbeitsagentur, Berufsverbänden usw. an.

Ein ebenso wichtiges Tätigkeitsfeld dreht sich um Beziehungen: zu den Gästen „zu Hause“, zu den Mitarbeitern und zu allen, die den Betrieb von außen wahrnehmen. Dieser Bereich hat eine enorme Bedeutung, um den Fortbestand des Betriebes auch nach der Krise zu sichern und ihn vielleicht sogar voranzubringen.

Im Moment geht es im Blick auf die Mitarbeiter um die Fragen: Steht das Team hinter dem Haus, steht das Haus zum Team? Erklärt die Geschäftsführung nur Kurzarbeit und spricht Kündigungen aus oder macht sie die Überlegungen für ein Überleben des Betriebes in angemessenem Rahmen für alle transparent und nachvollziehbar? Werden die Mitarbeiter auf Augenhöhe in dieser schwierigen Zeit einbezogen und mit ihren existentiellen Sorgen gesehen? Wird auf einen gemeinsamen Start „danach“ eingeschworen? Vermitteln der Chef, die Chefin das Gefühl: Wenn wir zusammenhalten, wird es weitergehen? Schafft es die Führungskraft, Zuversicht auszustrahlen, aber auch Ängste, Zweifel und Sorgen zuzulassen und aufzufangen? Hat sie Ideen für neue Arbeitsbereiche in der aktuellen Situation, sind die Mitarbeiter motiviert und können sie sich auch selbst einbringen?

Es gibt ohne Ende zu tun und zu kommunizieren. Führungskräfte sind jetzt ganz besonders gefordert und stehen im Spagat zwischen unternehmerischen Entscheidungen auf der einen Seite und sozialen, zwischenmenschlichen Anforderungen im Blick auf Mitarbeiter, Kunden und der Öffentlichkeit auf der anderen. Im Moment befinden wir uns alle noch im Handlungsmodus, in dem wenig Zeit für Reflexion bleibt. Sobald etwas Ruhe eingekehrt ist, kann die Zeit genutzt werden, Geschehenes zu reflektieren, um Handlungsoptionen für die Zukunft zu entwickeln und zu überdenken. Genau hier setzen Coaching und Supervision an.

Wie beurteilen Sie aus Ihrer Sicht die vielen kreativen Versuche von Hotels und Restaurants, weiterhin für ihre Gäste – und auch für neue Zielgruppen – da zu sein?

Das ist der absolut richtige Ansatz. Auch wenn Außer-Haus-Geschäft, Lieferdienst und Gutscheinmodelle den Umsatzausfall nicht komplett decken können, sorgen sie doch dafür, dass unsere Kernaufgabe, die Beziehungspflege zum Gast, aufrechterhalten wird. Wer außerdem auf Social-Media-Kanälen unterwegs ist und dort kreative Wege geht, kann in der Krisensituation neue Zielgruppen ansprechen und sich gut für die Zukunft aufstellen.

Können Sie ein Beispiel nennen, das Ihnen besonders imponiert hat, ob aus unternehmerischer oder charakterlicher Sicht?

Da gibt es viele. In Notzeiten suchen Menschen nach hoffnungsspendenden, positiven Geschichten. Ein Gastronom, der Pflegepersonal kostenfrei ein hochwertiges Menü liefert, die Nachbarschaftskneipe, die die eigenen Toilettenpapiervorräte aus dem Fenster verteilt, das Serviceteam, das abends im Supermarkt beim Auffüllen der Regale hilft, der Koch, der online das Lieblingsgericht der Gäste vorkocht – das sind Geschichten, die für Solidarität mit der Gastronomiebranche auch nach der Krise sorgen.

Klagen über Umsatzeinbrüche und Forderungen nach mehr Unterstützung haben definitiv auch ihre Berechtigung. Nur stehen sie im Chor mit den Problemen fast aller Bürgerinnen und Bürger. Die Menschen suchen in der unsicheren Situation nach Gemeinschaft, sie wollen helfen – aber dort, wo es ganz offensichtlich direkt notwendig ist. Gleichzeitig  bringt man denjenigen, die in diesem Sinne handeln, langfristig Respekt und Anerkennung entgegen.

Wer jetzt auch noch schnell einen Liefer- oder Abholdienst auf die Beine stellen kann, nutzt wichtige Absatzkanäle. Dazu kann auch die Plünderung des Weinkellers inklusive Lieferung der edlen Tropfen zu edlen Preisen an Stammgäste und Neukunden gehören. Jeder Betrieb steht wie so oft vor der Frage: Was genau macht uns aus und wie können wir das nach außen kommunizieren?

Meinen Sie, es kann ein „Weiter so“ im Gastgewerbe geben? Sehen Sie Unterschiede von Gastronomie und Hotellerie, was womöglich nicht gemachte „Hausaufgaben“ angeht – halbherzig angefasste Digitalisierung, zu geringe finanzielle Polster, unzufriedenes Personal, fehlende Nachfolgeregelung oder die Abhängigkeit von Lieferanten seien hier genannt.

„Die Krise als Chance“ – das gilt aus meiner Sicht auch für Gastronomie und Hotellerie. All die genannten „Hausaufgaben“ müssen dringend angegangen werden. Sicher ist, dass ein großer Teil der Branche noch nicht in der heutigen Lebens- und Arbeitswelt angekommen ist. Die zentralen Ausgangspunkte sind aus meiner Sicht die Digitalisierung und die Mitarbeiterzufriedenheit. Und in diesen Bereichen liegt auch bereits ein wichtiger Lösungsansatz: Junge Mitarbeiter bewegen sich mühelos in der digitalen Welt und sind mit all ihren Möglichkeiten und Chancen vertraut. Sie können sich daher schnell auf digitale Zusammenhänge und Projekte in der Gastronomie und Hotellerie einstellen. Im Bereich der sozialen Medien kennen sie den Markt, das Kundenverhalten und die Kundenwünsche, sie bewegen sich sicher und schnell auf allen Kommunikationswegen.

Gleichzeitig haben sie aber auch neue Ansprüche an ihren Job: Sie suchen nach Sinn, nach Beteiligung, Selbstwirksamkeit, nach echter Kooperation, nach einer ausgewogenen Work-Life-Balance und auch nach ethischen Grundsätzen wie Nachhaltigkeit, Diversität und sozialer Gerechtigkeit. Auch diese Ansätze finden sich in erfolgreichen Gastronomiekonzepten wieder: Gesucht wird eine neue „Lässigkeit“, die verbunden ist mit ehrlichen ethischen Werten und einer von echter Leidenschaft geprägten Leistungsbereitschaft.

Wie können wir uns, wenn Ihre Veränderungsvorschläge angenommen würden, eine Gastronomielandschaft des Jahres 2021 in Grundzügen vorstellen?

Ich glaube, 2021 wäre ein sehr ehrgeiziges Ziel. Veränderungsprozesse brauchen in erster Linie viel, viel Zeit. Eingefahrene hierarchische Führungsmodelle zum Beispiel können nicht von heute auf morgen aufgebrochen werden. Erklärt man einer Chefin, einem Chef, zukünftig sollten Mitarbeiter mehr einbezogen werden, so kann man nicht erwarten, dass das sofort funktioniert, weder auf Führungs- noch auf Mitarbeiterebene. Eine Veränderung kann weder durch dieses Interview noch durch ein Gespräch oder ein einziges Seminar erreicht werden. Es braucht eine langfristig angelegte Auseinandersetzung aller Beteiligten. Wenn eine Veränderung nur vorgegeben und verkündet wird, dann passiert nichts – außer wahrscheinlich Widerstand, Verweigerung und Chaos in allen Bereichen. Veränderungsprozesse müssen mit der Bereitschaft aller Beteiligten individuell erarbeitet werden. Dabei entwickelt sich jeder Einzelne weiter, das Miteinander im Team wird verbessert, das Verhältnis zwischen Chefin/Chef und Team wird offener und schließlich verändern sich auch Strukturen und Arbeitsabläufe. Das gesamte Selbstverständnis des Betriebes wird Schritt für Schritt neu ausgerichtet und aufgestellt. Die innerbetriebliche Kommunikation dreht sich dabei mehr und  mehr um Transparenz, Beteiligung, Verantwortung, Selbstwirksamkeit, um ständige Auseinandersetzung in der gemeinsamen Suche nach Lösungen. Dieser Prozess hört nie auf, aber er kann immer selbstverständlicher zum Arbeitsalltag gehören. Wenn es gelingt, eine gute Konfliktkultur zu leben, kommt es zu weniger Reibung, zu weniger Machtkämpfen, Mobbing, Frust und Demotivation. So kann viel Zeit und Energie für die Arbeit, neue Ideen und Handlungsräume frei werden.

Würden Sie demnach für eine Professionalisierung der Branche einerseits plädieren (saubere Buchhaltung, faire Bezahlung, technisch gut ausgerüstete Betriebe), andererseits die Aufmerksamkeit der Gastronomen und Hoteliers auf Themen wie Nachhaltigkeit, Umweltbelange, soziale Verantwortung, regionale Lieferketten lenken?

Eine professionelle Betriebsführung sollte heute selbstverständlich sein. Und ja – die Gesellschaft bewertet Fragen rund um Nachhaltigkeit, Umwelt und Soziales heute hoch. Für mich bleibt aber der zentrale Kern eines jeden erfolgreichen Unternehmens die Mitarbeiterführung und die Mitarbeiterzufriedenheit. Dort werden die Anforderungen an Professionalität umgesetzt, dort müssen ethische Werte mitgetragen und gelebt werden. Jeder Gast spürt die Atmosphäre des Miteinanders in einem Haus sehr schnell. Intuitiv wird eine konfliktgeladene Stimmung  ebenso wahrgenommen wie eine entspannte Atmosphäre, die von gegenseitiger Wertschätzung und Unterstützung getragen ist. Und immer noch ist es so, dass der Gast aufgrund der aufrichtigen (nicht aufgesetzten) Freundlichkeit einer Mitarbeiterin bereit ist, Verständnis für Missgeschicke oder sogar größere Mängel zu aufzubringen.

Wer soll diese zeitgemäßen und gut ausgestatteten Betriebe finanzieren? Die Gäste über entsprechend erhöhte Preise für Hauptgerichte, Getränke, Zimmer? Was raten Sie Unternehmern, wie sie angemessene Preise kommunizieren und durchsetzen können?

Erst einmal steht die Sieben-Prozent-Forderung natürlich im Raum und die wird hoffentlich gerade in der aktuellen Situation und in der Zeit „danach“ weiter verfolgt. Ansonsten geht es auch hier wieder um das aktuelle Thema Authentizität: Der Gast will nicht „für doof verkauft“ werden, ist aber bereit, für ehrliche Leistung und hochwertige Produkte angemessen zu zahlen. Aber das Preis-Leistungs-Verhältnis muss nachvollziehbar sein, der Gast will mitgenommen und ernst genommen werden. Es geht um die Geschichten hinter dem Produkt und es geht um die Einbindung in den gesamten Betrieb. Ein Hinweis auf regionale Speisen in der Karte reicht definitiv nicht aus.

Mit welchen Werten und/oder geschärften Konzepten könnten Gastronomen und Hoteliers nach der Corona-Krise Fachkräfte anwerben?

Die große Chance der Coronakrise liegt in der neuen Wertschätzung der Gesellschaft für Berufszweige, denen es um das Sorgen, Versorgen und Pflegen geht. „Höher, schneller, weiter“, das Diktat des grenzenlosen Wachstums, wird noch deutlicher als bisher zum Beispiel im Blick auf den Klimawandel infrage gestellt.

Jetzt wird der größte Respekt Kassiererinnen und Pflegekräften entgegengebracht. Die Gesellschaft erkennt ihr Versäumnis, genau diesen Berufszweigen lange etwas vorenthalten zu haben. Erst jetzt, wo jeder ganz direkt betroffen ist, wird die große Leistung, die diese Berufszweige ohne angemessene Wertschätzung und Entlohnung erbringen, erkannt und anerkannt.

Gastronomie und Hotellerie gehören aus meiner Sicht, auch wenn sie zurzeit kaum handeln können, ebenfalls zu dieser Gruppe. Es geht um die Versorgung sehr menschlicher und existentieller Bedürfnisse: Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf.

Wir bieten außerdem genau das, was die Menschen jetzt so sehr vermissen: die Begegnung mit anderen Menschen, die Pflege von Gemeinschaft, das Erleben und Teilen besonderer Momente. Das alles findet in Gastronomie und Hotellerie unter dem Dach der Gastfreundschaft statt.

Wenn es der Branche gelingt, diese Ethik zu leben und nach außen zu präsentieren, dann kann auch das Preis-Leistungs-Niveau so gestaltet werden, dass eine angemessene Bezahlung des Personals machbar ist. Und dann wird es auch viele junge Menschen geben, die sich für die wunderbaren Aufgaben in unserer Branche begeistern.

www.supervision-wachsmund.de

www.dgsv.de


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Sie traf uns alle unerwartet, unverschuldet und vor allem in einem bislang unvorstellbaren Ausmaß.Existenzbedrohende Situationen kenne ich aus meiner Beratungstätigkeit als Coach und Supervisorin. Das sind immer Grenzsituationen, die aber in der Regel eine Vorgeschichte haben. Man kann auswerten und analysieren, um die notwendigen Strategien zu entwickeln und Entscheidungen zu treffen. Nun trifft es jeden, mit oder ohne vorherige Problemlage, aber natürlich je nach Vorgeschichte und individueller Situation mit größerer oder kleinerer Wucht, mit unterschiedlichen Handlungsspielräumen.Was können Sie gastronomischen Betrieben, die zum Teil vor dem Aus stehen, in der jetzigen Situation überhaupt noch raten? Gefragt sind Zuversicht, Gemeinschaftssinn, Kreativität, authentisches Auftreten und sehr, sehr viel Kommunikation. Im Blick auf betriebswirtschaftliche Zusammenhänge stehen natürlich Gespräche mit Steuerberatern, Hausbank, Arbeitsagentur, Berufsverbänden usw. an.Ein ebenso wichtiges Tätigkeitsfeld dreht sich um Beziehungen: zu den Gästen „zu Hause“, zu den Mitarbeitern und zu allen, die den Betrieb von außen wahrnehmen. Dieser Bereich hat eine enorme Bedeutung, um den Fortbestand des Betriebes auch nach der Krise zu sichern und ihn vielleicht sogar voranzubringen.Im Moment geht es im Blick auf die Mitarbeiter um die Fragen: Steht das Team hinter dem Haus, steht das Haus zum Team? Erklärt die Geschäftsführung nur Kurzarbeit und spricht Kündigungen aus oder macht sie die Überlegungen für ein Überleben des Betriebes in angemessenem Rahmen für alle transparent und nachvollziehbar? Werden die Mitarbeiter auf Augenhöhe in dieser schwierigen Zeit einbezogen und mit ihren existentiellen Sorgen gesehen? Wird auf einen gemeinsamen Start „danach“ eingeschworen? 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Genau hier setzen Coaching und Supervision an.Wie beurteilen Sie aus Ihrer Sicht die vielen kreativen Versuche von Hotels und Restaurants, weiterhin für ihre Gäste – und auch für neue Zielgruppen – da zu sein?Das ist der absolut richtige Ansatz. Auch wenn Außer-Haus-Geschäft, Lieferdienst und Gutscheinmodelle den Umsatzausfall nicht komplett decken können, sorgen sie doch dafür, dass unsere Kernaufgabe, die Beziehungspflege zum Gast, aufrechterhalten wird. Wer außerdem auf Social-Media-Kanälen unterwegs ist und dort kreative Wege geht, kann in der Krisensituation neue Zielgruppen ansprechen und sich gut für die Zukunft aufstellen.Können Sie ein Beispiel nennen, das Ihnen besonders imponiert hat, ob aus unternehmerischer oder charakterlicher Sicht?Da gibt es viele. In Notzeiten suchen Menschen nach hoffnungsspendenden, positiven Geschichten. Ein Gastronom, der Pflegepersonal kostenfrei ein hochwertiges Menü liefert, die Nachbarschaftskneipe, die die eigenen Toilettenpapiervorräte aus dem Fenster verteilt, das Serviceteam, das abends im Supermarkt beim Auffüllen der Regale hilft, der Koch, der online das Lieblingsgericht der Gäste vorkocht – das sind Geschichten, die für Solidarität mit der Gastronomiebranche auch nach der Krise sorgen.Klagen über Umsatzeinbrüche und Forderungen nach mehr Unterstützung haben definitiv auch ihre Berechtigung. Nur stehen sie im Chor mit den Problemen fast aller Bürgerinnen und Bürger. Die Menschen suchen in der unsicheren Situation nach Gemeinschaft, sie wollen helfen – aber dort, wo es ganz offensichtlich direkt notwendig ist. Gleichzeitig  bringt man denjenigen, die in diesem Sinne handeln, langfristig Respekt und Anerkennung entgegen.Wer jetzt auch noch schnell einen Liefer- oder Abholdienst auf die Beine stellen kann, nutzt wichtige Absatzkanäle. Dazu kann auch die Plünderung des Weinkellers inklusive Lieferung der edlen Tropfen zu edlen Preisen an Stammgäste und Neukunden gehören. Jeder Betrieb steht wie so oft vor der Frage: Was genau macht uns aus und wie können wir das nach außen kommunizieren?Meinen Sie, es kann ein „Weiter so“ im Gastgewerbe geben? Sehen Sie Unterschiede von Gastronomie und Hotellerie, was womöglich nicht gemachte „Hausaufgaben“ angeht – halbherzig angefasste Digitalisierung, zu geringe finanzielle Polster, unzufriedenes Personal, fehlende Nachfolgeregelung oder die Abhängigkeit von Lieferanten seien hier genannt.„Die Krise als Chance“ – das gilt aus meiner Sicht auch für Gastronomie und Hotellerie. All die genannten „Hausaufgaben“ müssen dringend angegangen werden. Sicher ist, dass ein großer Teil der Branche noch nicht in der heutigen Lebens- und Arbeitswelt angekommen ist. Die zentralen Ausgangspunkte sind aus meiner Sicht die Digitalisierung und die Mitarbeiterzufriedenheit. Und in diesen Bereichen liegt auch bereits ein wichtiger Lösungsansatz: Junge Mitarbeiter bewegen sich mühelos in der digitalen Welt und sind mit all ihren Möglichkeiten und Chancen vertraut. Sie können sich daher schnell auf digitale Zusammenhänge und Projekte in der Gastronomie und Hotellerie einstellen. Im Bereich der sozialen Medien kennen sie den Markt, das Kundenverhalten und die Kundenwünsche, sie bewegen sich sicher und schnell auf allen Kommunikationswegen.Gleichzeitig haben sie aber auch neue Ansprüche an ihren Job: Sie suchen nach Sinn, nach Beteiligung, Selbstwirksamkeit, nach echter Kooperation, nach einer ausgewogenen Work-Life-Balance und auch nach ethischen Grundsätzen wie Nachhaltigkeit, Diversität und sozialer Gerechtigkeit. Auch diese Ansätze finden sich in erfolgreichen Gastronomiekonzepten wieder: Gesucht wird eine neue „Lässigkeit“, die verbunden ist mit ehrlichen ethischen Werten und einer von echter Leidenschaft geprägten Leistungsbereitschaft.Wie können wir uns, wenn Ihre Veränderungsvorschläge angenommen würden, eine Gastronomielandschaft des Jahres 2021 in Grundzügen vorstellen?Ich glaube, 2021 wäre ein sehr ehrgeiziges Ziel. Veränderungsprozesse brauchen in erster Linie viel, viel Zeit. Eingefahrene hierarchische Führungsmodelle zum Beispiel können nicht von heute auf morgen aufgebrochen werden. Erklärt man einer Chefin, einem Chef, zukünftig sollten Mitarbeiter mehr einbezogen werden, so kann man nicht erwarten, dass das sofort funktioniert, weder auf Führungs- noch auf Mitarbeiterebene. Eine Veränderung kann weder durch dieses Interview noch durch ein Gespräch oder ein einziges Seminar erreicht werden. Es braucht eine langfristig angelegte Auseinandersetzung aller Beteiligten. Wenn eine Veränderung nur vorgegeben und verkündet wird, dann passiert nichts – außer wahrscheinlich Widerstand, Verweigerung und Chaos in allen Bereichen. Veränderungsprozesse müssen mit der Bereitschaft aller Beteiligten individuell erarbeitet werden. Dabei entwickelt sich jeder Einzelne weiter, das Miteinander im Team wird verbessert, das Verhältnis zwischen Chefin/Chef und Team wird offener und schließlich verändern sich auch Strukturen und Arbeitsabläufe. Das gesamte Selbstverständnis des Betriebes wird Schritt für Schritt neu ausgerichtet und aufgestellt. Die innerbetriebliche Kommunikation dreht sich dabei mehr und  mehr um Transparenz, Beteiligung, Verantwortung, Selbstwirksamkeit, um ständige Auseinandersetzung in der gemeinsamen Suche nach Lösungen. Dieser Prozess hört nie auf, aber er kann immer selbstverständlicher zum Arbeitsalltag gehören. Wenn es gelingt, eine gute Konfliktkultur zu leben, kommt es zu weniger Reibung, zu weniger Machtkämpfen, Mobbing, Frust und Demotivation. So kann viel Zeit und Energie für die Arbeit, neue Ideen und Handlungsräume frei werden.Würden Sie demnach für eine Professionalisierung der Branche einerseits plädieren (saubere Buchhaltung, faire Bezahlung, technisch gut ausgerüstete Betriebe), andererseits die Aufmerksamkeit der Gastronomen und Hoteliers auf Themen wie Nachhaltigkeit, Umweltbelange, soziale Verantwortung, regionale Lieferketten lenken?Eine professionelle Betriebsführung sollte heute selbstverständlich sein. Und ja – die Gesellschaft bewertet Fragen rund um Nachhaltigkeit, Umwelt und Soziales heute hoch. Für mich bleibt aber der zentrale Kern eines jeden erfolgreichen Unternehmens die Mitarbeiterführung und die Mitarbeiterzufriedenheit. Dort werden die Anforderungen an Professionalität umgesetzt, dort müssen ethische Werte mitgetragen und gelebt werden. Jeder Gast spürt die Atmosphäre des Miteinanders in einem Haus sehr schnell. Intuitiv wird eine konfliktgeladene Stimmung  ebenso wahrgenommen wie eine entspannte Atmosphäre, die von gegenseitiger Wertschätzung und Unterstützung getragen ist. Und immer noch ist es so, dass der Gast aufgrund der aufrichtigen (nicht aufgesetzten) Freundlichkeit einer Mitarbeiterin bereit ist, Verständnis für Missgeschicke oder sogar größere Mängel zu aufzubringen.Wer soll diese zeitgemäßen und gut ausgestatteten Betriebe finanzieren? Die Gäste über entsprechend erhöhte Preise für Hauptgerichte, Getränke, Zimmer? Was raten Sie Unternehmern, wie sie angemessene Preise kommunizieren und durchsetzen können?Erst einmal steht die Sieben-Prozent-Forderung natürlich im Raum und die wird hoffentlich gerade in der aktuellen Situation und in der Zeit „danach“ weiter verfolgt. Ansonsten geht es auch hier wieder um das aktuelle Thema Authentizität: Der Gast will nicht „für doof verkauft“ werden, ist aber bereit, für ehrliche Leistung und hochwertige Produkte angemessen zu zahlen. Aber das Preis-Leistungs-Verhältnis muss nachvollziehbar sein, der Gast will mitgenommen und ernst genommen werden. Es geht um die Geschichten hinter dem Produkt und es geht um die Einbindung in den gesamten Betrieb. Ein Hinweis auf regionale Speisen in der Karte reicht definitiv nicht aus.Mit welchen Werten und/oder geschärften Konzepten könnten Gastronomen und Hoteliers nach der Corona-Krise Fachkräfte anwerben?Die große Chance der Coronakrise liegt in der neuen Wertschätzung der Gesellschaft für Berufszweige, denen es um das Sorgen, Versorgen und Pflegen geht. „Höher, schneller, weiter“, das Diktat des grenzenlosen Wachstums, wird noch deutlicher als bisher zum Beispiel im Blick auf den Klimawandel infrage gestellt.Jetzt wird der größte Respekt Kassiererinnen und Pflegekräften entgegengebracht. Die Gesellschaft erkennt ihr Versäumnis, genau diesen Berufszweigen lange etwas vorenthalten zu haben. Erst jetzt, wo jeder ganz direkt betroffen ist, wird die große Leistung, die diese Berufszweige ohne angemessene Wertschätzung und Entlohnung erbringen, erkannt und anerkannt.Gastronomie und Hotellerie gehören aus meiner Sicht, auch wenn sie zurzeit kaum handeln können, ebenfalls zu dieser Gruppe. Es geht um die Versorgung sehr menschlicher und existentieller Bedürfnisse: Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf.Wir bieten außerdem genau das, was die Menschen jetzt so sehr vermissen: die Begegnung mit anderen Menschen, die Pflege von Gemeinschaft, das Erleben und Teilen besonderer Momente. Das alles findet in Gastronomie und Hotellerie unter dem Dach der Gastfreundschaft statt.Wenn es der Branche gelingt, diese Ethik zu leben und nach außen zu präsentieren, dann kann auch das Preis-Leistungs-Niveau so gestaltet werden, dass eine angemessene Bezahlung des Personals machbar ist. Und dann wird es auch viele junge Menschen geben, die sich für die wunderbaren Aufgaben in unserer Branche begeistern.www.supervision-wachsmund.dewww.dgsv.de

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